20.10.21 – 13:10
„Waaas?“ gerade habe ich mich noch mit Ina darüber unterhalten, was gerade unter ihren Stricknadeln entsteht. Jetzt wünsche ich mir den Schal, der an Neujahr an Sankt Petersburger Obdachlose verschenkt werden soll, fast selbst herbei. Nun ja – ein Schal würde mir gerade auch nicht besonders weiterhelfen. Eher ein Regenanzug von Kopf bis Fuß. „Also ich bin dann mal weg – ich renne zurück zur Unterkunft!“. Meine letzten Worte, bevor ich im Unwetter aus der Sichtweite der anderen Freiwilligen verschwinde, sind durch das Regenprasseln kaum mehr zu verstehen.
18.10.21 – 22:00
„(Lachen) Nein, in Sankt Petersburg ist es noch gar nicht so kalt!“, rufe ich in mein Handy, während ich an Bäckereien und Cafés vorbeiwalke. „Ich muss wirklich sagen. Bislang hatte ich super viel Glück. Jeden Tag scheint die Sonne. Die Temperaturen sind auch noch angenehm – mal schauen, wann der Wettergott sich umentscheidet und ich meine Strumpfhosen herausholen werde“. Jetzt ist meine aktuell in Berlin residierende Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung an der Reihe, ein kleines Lachen hervorzustoßen.
20.10 – 13:15
65, 64, 63… Normalerweise gefallen mir die Fußgängerampeln, die herunterzählen. Besonders wenn die Zahl einstellig ist, beruhigt es zu wissen, dass man bald auf die Straße treten und an den zum Stehen gekommenen Autos vorbeihuschen kann. Nur jetzt macht es mich nervös. Noch mehr als eine Minute. Ich gehe der Versuchung nach und blicke nach rechts und links. Vielleicht erwische ich bereits vor dem Grünumschlag eine Autopause? Unter meiner Kaputze hervorlugend können meine Augen leider nicht all zu viel erkennen, und ich entscheide mich dann doch für die vernünftige sichere Variante. Nach 63 Sekunden also geht es weiter: Über Pfützen hüpfend, lausche ich den auf den Asphalt prasselnden Regentropfen. Hier direkt am Ufer der Fontanka ist es noch dazu besonders windig, sodass das Nass inzwischen von allen Seiten kommt. Fast könnte ich in den neben mir entlangströmenden Fluss hüpfen – einen großen Unterschied im Wassergehalt meiner Kleidung und meiner Hautoberfläche würde das nun auch nicht mehr ausmachen.
22.10.21
„Вот. Здесь вы видите погоду“. Ich sitze neben einer älteren Dame und halte sie davon ab, all zu hektisch auf ihrem Handy herumzutippen. „Smartphonecafé“ nennt sich die Veranstaltung am Freitagnachmittag zu der wir Freiwilligen als Helfende eingetragen sind. Meine Russischkenntnisse zeugen noch nicht von einem perfekten Wortschatz in Hinsicht auf IT-Hardware, aber für das Wichtigste reicht es. Nun also erkläre ich die Wetterapp – und: bin ein wenig enttäuscht. Morgen, ausgerechnet an meinem Geburtstag soll es das erste Mal Minustemperaturen geben. Na, da kann ich mich ja auf etwas gefasst machen…
20.10 – 13:20
Meine Schuhe quietschen als ich versuche sie von meinen tropfenweise wassertriefenden Socken zu trennen. Kein leichtes Unterfangen. Alles ist nass klebrig. Ich suche nach einem sinnvollen Ort, um meine aufgeweichte Kleidung aufzuhängen und werde schließlich am Waschbecken des kleinen Bads fündig. Erst jetzt bemerke ich, dass auch mein Stirnband, das heruntergerutscht den meisten Teil meiner Joggingstrecke eher als maskenähnliches Anhängsel meines Nackens fungierte, vollkommen durchnässt ist. Es findet seinen wohlverdienten Platz neben den Socken, bevor ich daran mache, mich aus der nassen Jeans zu schälen, unter der rotkalte Oberschenkel zum Vorschein kommen.
21.10 – 22:00
„Fährt hier ein Bus?“ Eine meiner Mitfreiwilligen schließt die Tür nach draußen deutlich schneller, als sie sie geöffnet hatte. Ich stoße sie wenige Sekunden später wieder auf „Warum? Regnet es?“. Sie muss nicht antworten, denn bereits jetzt höre ich das inzwischen so familiäre Geräusch des Sankt Petersburg Regenprasselns. Immer in Strömen, die einige Minuten anhalten, dann schwächt es ein wenig ab – und gleich darauf geht es wieder los. „I am singing in the rain,..“ beginne ich zu trällern. Denn betrübt macht mich die Nachricht der draußen herrschenden Wetterlage nicht. Inzwischen habe ich mich nicht nur damit abgefunden – sondern das Wetter zu lieben gelernt. Das einzige was fehlt – meine Gummistiefel, aber auch ohne diese lässt es sich durch den Regen nach Hause tanzen – ein doch sehr spaßiges Unterfangen zwischen den romantisch abendlich beleuchteten Häuserzeilen.
21:10 – 22:30
Es prasselt. Dieses Mal jedoch nicht auf dem Asphalt sondern auf den Fließen. Nach dem Regentanz nun noch ein schöner Duschshower, und dann mit Tee und Pulli den Post-Gewitter-Erkrankungen vorbeugen. Genau das richtige in der herbstlich-winterlich werdenden russischen Metropole. Mit dem Wetter, vor dem ich so sehr gewarnt wurde, dass ich gar nicht anders konnte als es lieben zu lernen!