“Deine Haare sind eingefroren!” Jeroen streicht mir eine Strähne aus der Stirn, bevor er sich zwei Schritte zurück bewegt und das Foto schießt. Dass meine Haare ein wenig steif-glitzerig sind, stört mich weniger als meine starren Finger und meine Füße, die inzwischen in zwei Pfützen laufen – warum diese Stiefel auch nicht wasserdicht sind!

Wir schlendern weiter den Berg hinauf. “Eine große, hohe Sehenswürdigkeit!” hatte ich, angekommen in Murmansk, den erstbesten Passanten gefragt. “Ah, Sie meinen Alyosha!”, errät dieser nach einigen ausgetauschten verwirrten Blicken. Man kommt eben auch durch obwohl man weder in Besitz einer Karte ist, noch den Namen seines Zielaussichtspunkts weiß. Bei meinem zweiten menschlichen Wegweiser ergibt sich so eine nette Konversation. Der ältere Herr, entgegnet mir, dass auch er früher einig Brocken Deutsch gesprochen habe, bevor er mir auf Russisch Hinweise gibt, wie ich am besten mein Wunschziel erreiche.

In Russland habe ich selbst das Gefühl mich vor lauter Gedenkstätten an den “Vaterländischen Krieg” nicht mehr retten zu können. Alyosha reiht sich in diese Gedenkstättenkette ein. Dennoch ist die Statue etwas ganz besonderes. Ich versuche mir vorzustellen, welch Aufwand es sein musste, den großen Soldaten an dieser abgelegenen, meist durch nicht gerade angenehme Wetterbedingungen geprägten, Stelle aufzubauen.

Auf dem Rückweg in die Stadt kommen wir an einer Hütte mit einem Walross-Wappen vorbei. Ich bin begeistert – vom Waldrossverein hatte ich bereits im Russischunterricht erfahren. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig zum Eisbaden. So fühle ich mich an die Fotos aus meinem Lehrbuch erinnert, während ich nun die Personen beim Gesundbaden beobachte: in nichts als Badehose begleitet bei einer Lufttemperatur, die gegen 0°C geht. Eisbaden mit anschließendem Saunagang steht heute nicht auf dem Tagesplan, aber an den schneebedeckten Outdoor-Sportgeräten lässt es sich für einen Moment lang auch ein wenig aufwärmen.

Vollständig durchnässt finden wir schließlich ein Restaurant, das uns Einlass gewährt – kein leichtes Unterfangen, da aufgrund der Hygienemaßnahmen unsere deutschen Impfungen hier in Russland keinen Wert haben. So machen wir uns nach einem weiteren nassen Spaziergang durch einige der vielen kleinen Parkanlagen in Murmansk auf den Rückweg zum Bahnhof. Im Arktikexpress mit dem wir bereits die über 24 h lang dauernde Anreise bestritten haben, erwarten uns schließlich wieder die 24°C und ich kann mich meiner nassen Strumpfhose entledigen.

“Achtung, heiß!” Jeroen reicht mir die Wasserflasche in “die zweite Etage”. Auf dieser habe ich es mir gerade eher weniger als mehr “bequem gemacht”. Unsere Betten sind nicht gerade einladend, um etwas anderes darin zu machen, als zu schlafen. Dafür belohnt aber das heiße Wasser aus den abteilungseigenen самовар (Wasserkessel), das die Kehle erwärmt, während ich den Blick nach draußen genieße. Die Landschaften, die sich auf der Reise nun wieder gen Süden zeigen, sind wirklich beeindruckend: Holzhäuser inmitten von Nadelwäldern, verschiedenste Gewässer, wie der Ladogasee, der Onegasee, das Weiße Meer… Ich muss fleißig den Routenplan verfolgen, um nicht die Übersicht zu verlieren.

In Sankt Petersburg zurückgekehrt regnet es in Strömen – der Schnee ist wortwörtlich “von gestern” und wir trollen uns zurück in die Unterkunft. Aber nicht ohne innerlich aufgewärmt zu sein von den schönen Wochenenderlebnissen in der Stadt nördlich des Polarkreises!