Einige von euch haben bereits neugierig bei mir nachgefragt, wie es mir als Masterstudentin in Denver die letzten zwei Monate erging. In einer Mini-Trilogie will ich für euch meine ersten Eindrücke zusammenfassen. Lest hier den ersten Teil:

„Be careful with the ‚O‘. For instance when you sing ‘Gott’. It is not ‘goat’. Don’t make an American ‘O’. It is much more straight and flat.” Dr. Sailer, die Dirigentin des Lamont Chorale schaut mich dankbar an. “And – with your permission”, sie dreht sich zu mir und redet nach meinem Nicken weiter „watch Lilith. When you observe her lip movements this can help a lot!” Sie schwingt ihren Dirigierstab und wir beginnen noch einmal vom selben Takt. Das ‚O‘ ist wirklich um einiges besser. Aber das ‚i‘ von ‚sind‘ klingt noch sehr seltsam. Ich korrigiere wieder. “And bear in mind to keep the tension till the end of measure four. In a word-to-word translation the word ‘voll’ meaning ’full’ would come at the end”. Unsere Dirigentin nickt mir zu. „You know, speaking the native language is one thing. Singing the native language sometimes differs a lot. Thus, when you have a native speaker who is trained in choir singing – this is what is real money!”. Ich lächle ein wenig peinlich berührt, als ich merke, wie die Blicke auf mir ruhen, doch der gesamte Chor ist ehrlich dankbar für mein Sprachcoaching.

Die Musiker:innen im Lamont Chorale, sind nicht die einzigen, die mich samt meiner deutschen Herkunft vollkommen akzeptieren und liebenswürdig in ihre Mitte schließen. Dennoch bin ich sehr dankbar dafür, dass die Profisänger:innen, in deren Reihen ich es nach einigem Vorsingen und Call-backs geschafft habe, in allen drei Proben wöchentlich eine angenehme Atmosphäre schaffen. Sie sind unheimlich aufgeschlossen und freundlich. „I have already visited a lot of places in Germany. We made a three-week concert tour with my high school choir to Switzerland, Luxemburg and Germany”, berichtet mir eine Sängerin aus dem Sopran begeistert. “How long have you been here now?” Es ist Lissy, die mich nach unserem ersten gemeinsamen Konzert fragt, ob ich nach einem Monat in den USA nicht schon Heimweh hätte. „Actually not. I like Denver!”. Und tatsächlich muss ich bei dieser Aussage nichts in unehrlicher Weise übertreiben. Denn ich bin wirklich gut hier angekommen. In der US-amerikanischen Stadt, in der ich mindestens die kommenden zwei Jahre verbringen werde.

Alles begann mit sehr, sehr viel Bürokratie. Das Recherchieren verschiedenster Stipendienmöglichkeiten, das Zusammensammeln der Unterlagen, Pauken für den TOEFL und den GRE. Als ich die ersten positiven Rückmeldungen von gleich mehreren Stipendiengebern erhielt, konnte ich zum ersten Mal aufatmen und spätestens nach einem Monat im Masterstudium „Public Policy“ an der Josef Korbel School in Denver weiß ich, dass sich all die Mühen, Anstrengungen und schlaflosen Nächte gelohnt haben. Denn tatsächlich übertreffen meine Erfahrungen meine Erwartungen bei weitem.

„Hi, I am from Iowa“, „Hey, I have been living in Washington DC for the last 5 years.” “I grew up in a very boring small town close to Chicago”. Die Orientation Days an meinem Institut ganz zu Beginn des Quarters sind liebevoll gestaltet und ich lerne nicht nur das beeindruckende intellektuelle Kursprogramm kennen, sondern sehr viele Personen aus aller Welt inklusive jeglicher Ecken der USA. In meinem Kopf mache ich mir unsichtbare Notizen für potenziell zukünftige Urlaubsziele – denn so schön Denver auch ist, ich möchte die Chance ergreifen und einigen anderen Landschaften und Städten in den USA einen Besuch abstatten. Neben dem Sammeln von Urlaubsideen, sind die Konversationen auch an sich spannend. Ich treffe auf Personen, die die letzten Jahrzehnte im Militär gedient haben und nun nach neuen intellektuellen Herausforderungen Ausschau halten, Menschen, die mit ihrem vorherigen Arbeitgeber die halbe Welt bereist haben und sich neu orientieren möchten, Professor:innen, die von ihren Policy Papern berichten, die sie 1980 dem damals amtierenden US-amerikanischen Präsidenten vorgelegt haben. Ich bin wie ein Schwamm, der neugierig alle Informationen und Erfahrungswerte der anderen aufsaugt. So divers mein Institut auch ist, eines haben alle, die dort angestellt sind oder studieren, gemeinsam und das ist es auch, was ich jedem als erstes am Telefon erzähle, der mich zu meinen Erfahrungen befragt: sie sind unheimlich freundlich und offen. Ganz im Gegenteil zu dem Stereotyp der Oberflächlichkeit, empfinde ich diesen Charakterzug der US-Amerikaner:innen als sehr angenehm. Jeder interessiert sich ehrlich dafür, wo genau aus Deutschland ich komme und versucht sich mit einem „Vielen Dank“ an die wenigen deutschen Wortfetzen zu erinnern, die er oder sie einst gelernt hat. Als ich an der Abendkasse anstehe, um Karten für eine Musicalvorstellung zu ergattern, erfahre ich die Geschichte einer Mitte 50-jährigen Dame, die einen Tag zuvor ihr Ticket nicht nutzen konnte, weil alle Parkplätze belegt waren. Das ist nicht die einzige Situation, in der ich in einen netten Plausch mit einer mir zuvor fremden Person gerate. Wenige Minuten später werde ich von einem Herrn darauf hingewiesen, dass ich unbedingt nach dem Studierendenrabatt fragen soll. Das hatte ich zwar bereits auf dem Schirm, aber alleine die Geste ist nett.

Das Gespräch mit der parkplatzlosen Dame spiegelt jedoch zusätzlich eine der Tatsachen wider, die mir in den USA nicht zusagen: Denver zählt tatsächlich zu den fahrradfreundlichen Städten – im Vergleich zu anderen US-amerikanischen Metropolen. Die Definition „fahrradfreundlich“ hat hier jedoch nichts mit der in Europa zu tun. Ich finde es schade, dass es tatsächlich schwer möglich ist, ohne Auto die Gegend zu erkunden. Meinen Alltag bewältige ich dank campusnaher Wohnung und kostenfreiem öffentlichen Nahverkehr für alle Studierenden glücklicherweise ohne Auto, doch für Wochenendausflüge schreibe ich in Gruppen und frage herum, bis sich jemand findet, der Lust auf eine Fahrgemeinschaft hat. Ein anderes mich schockierendes Phänomen: Die USA scheint der Ort zu sein, zu dem sich jegliche Art an Plastikgeschirr hinverirrt. Egal bei welcher noch so noblen Gala, bei jedem noch so lokalen, hochwertigen und umweltbewussten Buffet – gegessen wird mit Plastikbesteck. Ich beginne nach den ersten Wochen mein eigenes Besteck mitzubringen, anstatt all diese Plastikgabeln, -löffel, und -messer wegzuschmeißen. Ob die Einwohner:innen im Land der losen Waffengesetze Angst davor haben, dass spitze Gabeln als Dreizack und Messer als Dolche eingesetzt werden? 

Weiter mit meinem Erfahrungsbericht aus Denver geht es nächste Woche in Teil II