Verdammt, die Musik hat doch wie befürchtet zu abrupt eingesetzt und ich kann meine Drehung nur zu einem Dreiviertel ausführen. Egal. Einfach weiter tanzen. Schon verrückt. Den ganzen Tag ist man hier, wärmt sich auf, probt. Ein halbes Jahr hat man trainiert – und dann: sind es nur zwei Mal drei Minuten. Jetzt. Durchpowern. Alles geben. Knie strecken. O.k. Gut. Der Sprung hat geklappt. Oh nein. Jetzt ist es mir doch passiert. Ich bin in die falsche Ecke gerannt. Habe ich es doch geahnt. Egal. Einfach von hier weiter machen. Improvisieren. Wird schon niemand merken. Applaus. Verbeugung. Oh – die habe ich vorher gar nicht geübt. Nun denn. Wird schon schön genug gewesen sein. Und jetzt: Los, szenisches Abgehen von der Bühne. Bis zur letzten Sekunde- Spannung. Und jetzt…? Nein, nicht ausruhen. Umziehen, umschminken. Sechs Tänze. Das wird schon reichen.
Es ist schon Abend, als mich auf der Bühne im Treffpunkt Freizeit in Potsdam diese Gedanken umkreisen. Mitte Oktober steht mein Abschlusswettbewerb meiner Tanzschule an. Geprobt wurden die letzten Wochen, wo immer es sich anbot. Während des Workcamps im Aufenthaltsraum, an der S-Bahn Haltestelle um die Wartezeit zu überbrücken, auf einer Wiese an der Elbe. Und an diesem Samstag dann zum ersten Mal auf Bühnenboden. Die Jury besteht aus Akrobatikexperten, Ballerinas, Fotografinnen, Designerinnen. Sie gilt es zu überzeugen. Mit dem Ausdruck, der Technik, der Kreativität – und natürlich dem Outfit. Ob mir das gelungen ist? Ich erfahre es gut eine Stunde später bei der Preisverleihung. Diese ist mir gar nicht all zu wichtig, so lange ich meine Leistung erbracht habe – und soweit bin ich nicht all zu unzufrieden.
Unser Dreierteam landet auf dem vierten Platz und bekommt den Sonderpreis für das beste Kostüm verliehen – das hat auch seine Konsequenz. Um uns richtig in Szene zu setzen, haben wir unsere Körper von oben bis unten mit Lippenstift beschriftet – bis das abgeht, sind mehrere Duschgänge und Abrubbelaktionen notwendig, wie uns auffällt, als wir nach der Preisverleihung in die Umzugskabinen zurückkehren. Mit meinem eigenen Tanz habe ich es tatsächlich geschafft, mir den Pokal des ersten Platzes zu sichern, den ich nun stolz in die Kamera halten kann. Spannend an dem gesamten Tag waren aber vor allem auch die Tänze und Präsentationen der anderen in den Bereichen Modern, Jazz, Ballett und Akrobatischer Tanz. Wirklich beeindruckend all diese kreativen Beiträge live erleben zu können.