18.03 7:30

„Nicht erschrecken!“ Es ist Kathi, die mich nach gefühlt einer halben Stunde Schlaf an diesem Morgen aufweckt. „Schau einmal, was Matthieu mir geschrieben hat!“ Ich überfliege den Text in unserer WhatsApp Gruppe. Die wichtigsten Schlüsselworte reichen aus, um zu verstehen. Ich seufze. „Och nö! Wenigstens Miami hätte ich noch gerne gesehen – für heute hatten wir auch schon einen so perfekten Tagesplan!“ Noch während ich die Worte sage, werfe ich mir eine Jacke über und befinde mich schon auf dem Flur.

Wenige Minuten später sitzen wir gemeinsam um den Runden Esstisch in der Küche. „Und, wollen wir erst einmal Fragen sammeln?“ „Nein, das ergibt sich doch im Gesprächsverlauf“ „Wir müssen auf jeden Fall fragen, wie es mit Kathrine ohne den europäischen Reisepass ist!“ „Und meint ihr, wir können auch in Miami am Flughafen nachfragen?“ „O.k. Ich hole jetzt Blatt und Papier – das ist ein zu großes Durcheinander“ „Hier – das ist die Redeflasche – immer nur derjenige, der sie hat, darf sprechen“.

23.3 17:30

„Hat jemand von euch noch eine Kreditkarte?“ Ich schüttle den Kopf. Bei Alex sieht es auch nicht besser aus. „Ich habe gewusst, dass wir es hier vor 18:00 Uhr nicht wegschaffen“, seufzt Kathrin. „In China würde man jetzt einfach sein Handy auflegen,“ beklage ich mich. Hier geht das leider nicht. Die Vorzahlung muss jetzt erfolgen, die Nachzahlung von der gleichen Karte bei der Autorückgabe. Wie viel Geld hat wer auf seiner Kreditkarte freigeschaltet? „Ich glaube bei mir sind es 906 €“, murmelt Robert. Wir brauchen 50 € mehr. So kurz vorm Ziel – und jetzt soll es an einem blöden Zahlungsvorgang scheitern?

18.03 10:20

„Und es gibt wirklich keinen Flug am Donnerstag oder Freitag nach Deutschland?“ Nachdenklich schüttelt der freundliche Herr am Schalter den Kopf „Ich habe auch von anderen Flughäfen in den USA geschaut – nichts. Aber wie gesagt. Bisher wurden Flüge immer eine Woche vorher abgesagt und ihr Flug ist am Sonntag. Er sollte sicher sein“. Ich blicke in die Gesichter der Runde und kann meinen Mitreisenden ihre Zwiegespaltenheit ansehen. Die Unsicherheit, die sich geklärt hätte, wenn wir schon Morgen im Flieger sitzen würden, die Vorstellung, doch noch 30 Tage lang in den USA festzusitzen – und gleichzeitig die Vorfreude auf einen bereits verloren geglaubten Tag in Miami. „Wie gesagt, der einzige Flug wäre am Samstag, aber das ginge nicht für elfPersonen. Ich könnte sie einzeln in verschiedenen Maschinen unterbringen – eine andere Option sehe ich nicht!“ Wir nicken und bedanken uns. Nach einer halben Stunde Gespräch wünscht uns der Fluglinienangestellte noch viel Erfolg. In seinem floridianischen Akzent klingt dies wirklich sehr beruhigend.

23.3. 15:20

„Ach, und wo fahren Sie hin?“ Schon der aufmerksame Blick hatte mich die eigentliche Herkunft der Familie erraten lassen, nachdem ich quer über den Bahnhof Bartek in deutscher Sprache gebeten hatte, noch einmal zu schauen, ob diese Metrolinie auch in die richtige Richtung fährt. „Habt ihr etwa ein Hostel gefunden?“ „Nein, Leihwägen.“ Gerne würden wir sie mitnehmen, erkläre ich, nachdem sie mich etwas neidisch und gleichzeitig hoffnungsvoll angeschaut haben. Aber leider seien wir schon zu elft und würden niemanden weiteren unterbringen können. „Am Flughafen haben sie uns einen Viersitzer für 1000€ angeboten – das ist doch nicht bezahlbar!“ Da kommen wir ja geradezu mit einem Schnäppchen weg. Wir erzählen noch von dem einzigen Zug nach Straßburg, den wir vom Bahnhof Ost aus entdeckt hatten. Hochrisikogebiet. Wenn Deutsche dort umsteigen, müssen sie auch ohne positiven Test in Quarantäne? Stimmt das, oder handelt es sich dabei nur um ein Gerücht? Niemand weiß Bescheid. Sicherheitshalber haben wir uns dagegen entschieden. Daher die Autovermietung als letzte Möglichkeit. Gerade bevor die Metrotür schließt, kann ich ihnen noch den Weg beschreiben.

20.03 9:00

Nicht ganz so früh werden wir an diesem Tag aus den Federn gerissen, aber dann steht doch wieder ein Krisengespräch an. „Ich muss in meine Mails schauen“. Schon als mich Alex von seinem Laptop wegschiebt und sich einloggt, ahne ich nichts Gutes. „Wir müssen Matthieu anrufen. Unsere Flüge sind gecancelt“ Die gerade noch geschmackvollen Kaugeräusche in der Küche verstummen. Ein Stöhnen geht durch die Runde. Fast schon routiniert versammeln wir uns um den Esstisch – auch unsere Redeflasche ist wieder dabei. Nach dem Gespräch bleiben wir noch ein paar Minuten sitzen, um uns eine Signalmelodie für Krisengespräche auszudenken. Ein solcher Weckruf kann nicht schaden – wer weiß, wie viele Male wir noch Gruppenkrisentelefonate durchführen müssen. Etwas wehmütig heißt es danach „Bye bye Miami!“ – Nun ja. Was sollen wir auch machen, wenn wir nicht die kommenden 30 Tage auf Nordamerikanischem Territorium ausharren wollen.

 

22.3 10:15

Rebecca – so heißt die dunkelhäutige Angestellte, wie ich erfahre – kommt noch einmal auf unsere Gruppe zu. Kathrine ist das Thema – wie zu erwarten. Und schon wieder legt sich eine seltsam gewohnte Anspannung über die Gruppe. Darf sie nun doch nicht abfliegen? Wie sich herausstellt, freut sich Rebecca bei den momentan durchschnittlich 20 Reisenden auf dem Flughafen in Tallahassee darüber, Kundschaft und etwas zu tun zu haben. Sie meldet Kathrine bereits in Washington vor. Auch dort wird sie noch einmal namentlich aufgerufen. Und bis zur Grenzkontrolle bei der nächtlichen Einreise nach Deutschland bleibt es unsicher, ob sie es mit ihrem polnischen Ausweis und ohne Europäischen Pass schaffen wird. Wer hätte es auch gedacht, dass dieses Dokument, das irgendwo in ihrer Wohnung in Dresden ausharrt noch so wichtig sein könnte. Während wir sie bei der Einreise noch um ihre US-amerikanische Staatsbürgerschaft aufgrund Geburt beneideten und sie stets auf uns warten musste, hat sich das Blatt in der aktuellen Situation gewendet. Unsicher ist es bis zur letzten Minute, ob ihr Pass und Führerschein sie in die EU und das Schreiben der Universität sie nach Deutschland einreisen lassen wird.

 

23.3

„Sie haben geschrieben ‚wir kommen jetzt zu euch‘“, liest Linda vor. „Nein – das gibt doch gar keinen Sinn! Schreib ihnen, dass sie da bleiben sollen – bevor die hier mit all dem Gepäck durch den halben Flughafen laufen und …“ „Oh, der Schalter ist frei“, unterbricht mich Caro. „Endlich!“ Ich vertraue auf Lindas Können, beruhigende Textnachrichten in Whats App Gruppen zu versenden und laufe zum Schalter. Es ist wie angekündigt eine andere Dame als noch vor einer halben Stunde, aber sie weiß Bescheid. „Nein, also in dem Flug nach Düsseldorf sind nur noch fünf Plätze frei“ Lässt sie mich durch ihren Mundschutz hindurch und auf 1,5 m Abstand hinter dem Absperrband vor ihrem Computer wissen. „Dann ist das der, den wir auch online gefunden haben“, raune ich Caro zu, für die die französischen Worte aus dem Mund der Angestellten nichts als unverständliches Kauderwelsch sind. „Und eine andere deutsche Stadt? Vielleicht auch Morgen?“ „Das sieht alles schlecht aus. Außerdem würde es pro Person über 500 € kosten“. Ich möchte unbedingt noch etwas sagen, aber mir fällt nichts mehr ein. Bereits vor einer halben Stunde hatten wir alle Flughäfen in Deutschland gebrainstormt. Mindestens 15 Minuten lang führten wir eine Konversation der Form „Und Dortmund?“ „Ich schaue“ „Köln?“ „Nein, leider nichts“ „Vielleicht Baden-Baden?“ Nein, Flüge nach Deutschland gibt es nicht – zumindest keine mit freien Plätzen. Erst recht nicht für eine ganze Fußballmannschaft. Ich persönlich wäre auch sehr ungern geflogen. Aber nachdem wir die Nachricht erhalten, dass alle Leihwagen weg seien, selbst Zweisitzer und auch die Züge unsicher sind, zeigen wir uns doch etwas enttäuscht. Wenigstens der Flughafenzug hat noch keine Angst vor uns und lässt uns einsteigen – sogar ohne Mundschutz.